Portrait einer Musiktherapeutin

Luise Schwinning, 23 Jahre alt, hat den Beruf der Musiktherapeutin studiert und gibt Einblicke in die faszinierende Welt der heilenden Wirkung der Musik.

Professionell Heilen mit Musik – Portrait von Luise Schwinning

Der Arbeitsalltag

Ein Arbeitsalltag gestaltet sich unterschiedlich: „Je nach Institution und Berufsfeld arbeitet der angestellte Durchschnitts-Musiktherapeut in der Psychiatrie, wo ich selbst viele Erfahrungen gesammelt habe. Er hat einen festen 'Stundenplan' pro Woche, in dem per Tag eine Anzahl Gruppentherapien eingeteilt sind. Das sind im Durchschnitt drei bis vier Gruppen. Dann können noch zusätzlich Einzeltherapien eingeplant werden, wenn ein Klient besonders gut von der Musiktherapie profitiert.“

Teamarbeit

„Wenn der Musiktherapeut in einem multidisziplinären Team wie zum Beispiel zusammen mit Psychologen, Bewegungstherapeuten und Pflegern arbeitet, findet mindestens einmal pro Woche eine Teamsitzung statt. Darin wird jeder Klient einzeln besprochen. Die Kollegen tauschen sich aus, um die Zusammenarbeit so eng und effektiv wie möglich zu gestalten. In manchen Institutionen wie zum Beispiel einem Altersheim mit Klienten in ihrer letzten Lebensphase muss der Musiktherapeut spontan abrufbar sein und seine Behandlung je nach Stimmung und Kapazitäten an die Klienten anpassen.“

Die Ausbildungsmöglichkeiten

„Um ein zertifizierter Musiktherapeut zu sein, muss man einen Bachelor oder Master in Musiktherapie abgeschlossen haben. In den Niederlanden gibt es momentan noch mehr Orte, an denen ein solches Studium angeboten wird. In Enschede am ArtEZ Conservatorium hat das Studium im Bachelor und Master einen sehr guten Ruf, und auch ich kann es wärmstens Empfehlen. Für den Master muss man keinen Bachelor in Musiktherapie haben. Man kann zum Beispiel auch mit einem abgeschlossenen Musikstudium zugelassen werden. Jedoch muss man dann erst den Pre-Master machen. In Deutschland kann man Musiktherapie privat in Heidelberg und in Berlin studieren.“

Musikalische Vorkenntnisse

„Musikalische Vorkenntnisse sind nötig und werden bei der Aufnahmeprüfung getestet. Die Basis von Musiktheorie und Gehörbildung sollte vorhanden sein. Außerdem stellt man sich bei der Prüfung mit seinem 'Hauptinstrument' vor. Je mehr Instrumente bespielt werden können, desto besser.“

Die lange Liste der Instrumente

„Mein Hauptinstrument ist Gesang, aber ich spiele auch Klavier, Bratsche, ein bisschen Gitarre und Perkussionsinstrumente. Die Liste ist lang! Das liegt daran, dass man im Studium in Enschede nicht nur in seinem Hauptfach, sondern auch in zahlreichen anderen Instrumenten unterrichtet wird. Klavierunterricht ist Pflicht, weil es mit seinem hohen Wiedererkennungswert bei den Klienten ein sehr gefragtes Instrument innerhalb der Musiktherapie ist. Es ist sehr vielseitig und hat durch die große Spannweite an Frequenzen und sein Volumen eine hohe Aussagekraft. Es stellt damit ein super geeignetes Instrument zur Leitung von Improvisationen dar.“

Die Patienten

„Durch meine Praktika in Psychiatrien habe ich Erfahrung mit folgenden Krankheitsbildern: Manische Depression, Schizophrenie, Borderline, Burn-Out, Angststörungen wie zum Beispiel soziale Phobien, ADHS und Störungen des Sozialverhaltens. Ich habe sowohl mit Kindern und Jugendlichen als auch mit Erwachsenen gearbeitet.“

Vielseitige Arbeitsplätze

„Man kann zum Beispiel in einer Psychiatrie, in Krankenhäusern zum Beispiel mit Unfallpatienten, in Altersheimen mit dementen Klienten, in Behinderteneinrichtungen oder in Schulen und Kindergärten als orthopädagogischer Musiktherapeut arbeiten. Zuletzt kann man natürlich auch seine eigene, private Praxis eröffnen. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, weil der Beruf an sich auch so vielseitig ist.“

Selbstreflexion und Geduld

„Wer Freude daran hat, Musik auch ohne Streben nach Ästhetik mit anderen zu machen und Energie dadurch gewinnt, anderen Menschen zu helfen und zur Selbstheilung zu aktivieren, für den sollte der Beruf mehr Freude als Leid bringen. Das Studium selbst ist natürlich nicht ohne. Man muss sich nicht nur auf musikalischem oder fachkenntlichem Niveau, sondern auch auf persönlichem Niveau weiterentwickeln. Das erfordert viel Selbstreflexion, Konfrontation mit sich selbst und anderen, und zuletzt Geduld und Verständnis.“

Die Krankheitsbilder

„Zu den psychischen Krankheiten kommen noch neurologische Krankheiten wie zum Beispiel Aphasie, also der Verlust von Sprache, oder der Verlust von anderen Fähigkeiten durch Beschädigungen im Gehirn. Alzheimer und Demenz sind Krankheiten, bei denen Musiktherapie wegen ihrer bewiesenen Effektivität oft eingesetzt wird.“

Die Therapiekonzepte

Therapiekonzepte sind je nach Klient und Krankheitsbild unterschiedlich. Um zielgerichtet arbeiten zu können, muss der Musiktherapeut natürlich ein schon bestimmtes Ziel verfolgen oder selbst mit dem Klienten ein Ziel erarbeiten. Wenn der Klient zum Beispiel ein sehr negatives Selbstbild von sich hat, kann am Selbstwertgefühl gearbeitet werden. Eine passende Intervention wäre zum Beispiel, gemeinsam Songs zu erarbeiten, die dann am Ende sogar eventuell vor Mitklienten, Pflegern oder anderen Therapeuten vorgespielt werden können. Per Sitzung werden dann Unterziele formuliert: Hat der Klient Probleme, diszipliniert ein musikalisches Motiv zu üben, weil er schnell frustriert ist, wenn er einen Fehler macht? Rutscht er in eine negative Gedankenspirale? Dann kann das Subziel sein: Erkennung von dysfunktionalen Gedanken. Später dann die Umwandlung dieser dysfunktionalen Gedanken wie 'Ich kann das eh nicht!' in funktionale Gedanken wie 'Ich kriege das gerade nicht hin. Aber das ist okay und hat nichts damit zu tun, dass ich blöd bin. Ich hab es ganz einfach noch nicht genug üben können.' umgewandelt werden. Am Ende sollte ein Erfolgserlebnis für den Klienten die schrittweise Verbesserung des Selbstwertgefühls kennzeichnen.“

Erfolgreiche Konzepte

„Ein großer Teil des Behandlungserfolges hängt auch ganz davon ab, wie die Beziehung zu den Klienten ist. Außerdem schlagen bei dem einen Klienten diese kognitiven Methoden, also Methoden, bei der an Gedankenschemata gearbeitet wird, mehr an als bei anderen, die vor Allem eher durch Taten neue Verhaltensweisen in der Verhaltenstherapie erlernen. Eine Bilanz kann ich noch nicht ziehen, da ich dafür noch nicht genug Erfahrung mit einer Intervention wie oben beschrieben habe oder zum Beispiel noch keine wissenschaftliche Studie durchgeführt habe. Dieser kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansatz ist aber basiert auf Studien, welche einen Effekt als Resultat aufweisen.“

Hoffnungslose Fälle gibt es nicht

„Für mich gibt es keine 'hoffnungslosen Fälle'. Mein Ziel ist auch nicht die Krankheit an sich zu heilen. Aber jeder kann etwas Neues lernen und sich weiterentwickeln. Ich überlege also, was der Klient von mir lernen kann, und orientiere daran meine Ziele. Wenn ich merke, dass das Ziel zu hoch gesteckt ist, muss ich es anpassen. Wenn ich merke, dass auch das neue Ziel nicht zu erreichen ist und der Klient überhaupt nicht von der Musiktherapie profitiert, würde ich das mit dem Klienten und den mitbehandelnden Therapeuten besprechen und die Musiktherapie gegebenenfalls für ihn auslassen. Dies ist vor allem in einem Rahmen möglich, in dem der Klient auch noch andere Therapien hat, von denen er mehr profitiert.“

Die Wahl der Therapie

„Ob Patienten freiwillig bei mir sind, kommt auf die Station der Psychiatrie an. In der tagesklinischen Station der psychiatrischen Klinik in Münster zum Beispiel dürfen die Klienten zwischen drei Arten von Fachtherapien wählen. In der Kinder und Jugendpsychiatrie, in der ich Praktikum gemacht habe, war sie mindestens einmal in der Woche verpflichtend.“

Beruf mit Überzeugung

„Ich bin sehr überzeugt vom Beruf des Musiktherapeuten und von dem positiven Effekt, den die Musik auf die menschliche Psyche hat, egal, ob es Musikhören oder -machen ist, eine Improvisation oder ein strukturierter Song. Die meisten Klienten sind am Anfang einer Therapie skeptisch und nehmen sie nicht ernst, weil sie viele in der Therapie verwendete Instrumente mit Kindergarteninstrumenten assoziieren, zum Beispiel Xylophon oder Rasseln. Aber auch innerhalb einer Institution kann es sein, dass sie nicht ernst genommen wird. Dabei ist sie viel mehr als nur Beschäftigung. Durch ihre nonverbale Komponente öffnen sich Klienten oft eher dem Therapeuten als mit 'nur einem Gespräch'. Die spielerische Komponente und der Belohnungscharakter der Musik hat den Effekt, dass Klienten motiviert werden und es auch bleiben. Mit Stolz möchte ich gerne meine positiven Erfahrungen und den Mehrwert, den die Musiktherapie in der Behandlung bei psychisch Kranken hat, mit der Welt teilen, sodass mehr Raum für sie geschaffen und in Arbeitsstellen investiert wird.“

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Musiktherapeutin Luise Schwinning


Bildquelle: Luise Schwinning